Des Heinrich Wunderlich wohlunterrichtende Anweisung,
 das

Garum oder Liquamen
der Alten

zu machen, so wie er es re - inventieret hat,
alswie allerfeinste Gerichte damit zu bereiten, 
wie uns der große Apicius lehrt

Aus der antiken, griechisch-römischen Küche sind viele gute Kochrezepte erhalten. Die meisten finden sich im Kochbuch des Apicius, "De Re Coquinaria".. In fast allen Rezepten wird anstelle von Salz eine bestimmte salzhaltige Würzsoße verwendet, die den Gerichten neben dem Salz auch das typische Aroma verlieh. Diese Soße, "garum" (griechisch "garon") oder "liquamen" genannt, wurde etwa in der Art verwendet, wie heutzutage die Soja-Soße in der asiatiaschen Küche. Der Herstellungsweg dieser Würzsoße ist in mehreren Versionen in der "Geoponica" XX,46 beschrieben (Die "Geoponica" ist eine anonyme, lückenhafte Abschrift spätantiker griechischer Tractate über die Landwirtschaft). Auch in der Enzyclopädie des Plinius (C. Plinii Naturalis Historiae Libri XXXVII, Liber XXXI, 95) wird die Herstellung von Liquamen geschildert. 

Zur Bereitung von Liquamen ließ man diverse kleine Fische sowie Fischinnereien in der Sonne zusammen mit Salz "gären" ("gären" oder "faulen": so übersetzen/erklären die mir bekannten Autoren diesen Prozeß - nicht ganz korrekt, wie wir im folgenden lesen werden). Dieser Prozeß kann recht lange dauern, die Quellen sprechen von mehreren Monaten. Hin und wieder rührte man um. Anschließend wird die Masse durch ein Sieb gegeben, das Ergebnis ist eine braune Flüssigkeit, das Liquamen oder "Garum". Es werden unterschiedliche Fische als Zutaten erwähnt, meistens sind es kleine Fische, wie etwa Sardellen, Atherines(so heißen diese Fische noch heute in Griechenland, den deutschen Namen kenne ich nicht) oder "gavros" (daher hat das Garum seinen Namen, auch dieser Fiscgh heißt noch heute so in Gr, es ist auch ein kleiner Fisch, kleiner noch als Sardellen). Die Fische werden - das ist wichtig - als ganzes, das heißt, nicht ausgenommen, verwendet. Die erhaltene  Flüssigkeit, das Garum, nahm man dann direkt als Würzsoße oder versetzte sie noch mit Wein, Gewürzen etc, was man dann als "Oinogarum" ("Weingarum") bezeichnete, bekannt waren auch Oxygarum (Essiggarum), und -wohl als billigstes- das Hydrogarum, was einfach nur ein mit Wasser verdünntes G. war. 

Die Haltbarkeit dieser Soßen muß nahezu unbegrenzt gewesen sein, wie etwa unsere Fleischextrakte oder die eingangs erwähnte Sojasoße.

Die Vorstellung, Fische in der Sonne auf einen Haufen zu schichten und sie in mediterraner Hitze tagelang sich selbst zu überlassen, hat so ziemlich alle bisherigen Wissenschaftler wie Freizeitköche in Ekel versetzt, und die römische Küche gilt bis heute als etwas, was unsere heutigen Gaumen absolut fremd sei, und die Nachahmung dieser Rezepte mit dem "echten Liquamen" aus verfaulten Fischen wurde meines Wissens nach noch von keinem Autor empfohlen. Dem würde ich mich anschließen, wenn es sich bei dem Garum bzw. Liquamen tatsächlich um "verfaulte" oder "vergorene" Fische gehandelt haben sollte. 

Die meisten Neu-Herausgeber römischer Rezepte empfehlen daher, entweder das Liquamen durch Salz zu ersetzen, oder ein "Ersatz-Liquamen" oder "Schnell-Liquamen" zu bereiten, dessen Rezept auch in den Geoponica (XX,46,5) beschrieben ist. Dazu werden Sardellen längere Zeit in stark salzhaltigem Wasser gekocht, und die entstandene Brühe wird abgeseiht. Natürlich habe ich das auch schon probiert. Ergebnis: die ganze Wohnung stinkt nach Fisch, dieses "Billigliquamen" schmeckt einfach penetrant wie Sardellenpaste und kann sämtliche Gerichte verderben, wenn man es tatsächlich als Ersatz für Salz nimmt.Was ist also dran an dem echten "Liquamen", warum war es so begehrt, und was passierte mit den Fischen in der Sonne tatsächlich ? 

. Sicher ist eines: weder litten die mediterranen Menschen unter Geschmacksverirrung, noch waren sie resistent gegen Fischvergiftungen. Denn keineswegs haben die Fische gefault oder gegoren. Die bisherigen Quellen-Exegeten haben offenbar eine wichtige Zutat nicht ernst genommen: das Salz.  

Das Geheimnis des echten Liquamens oder Garum :

Die Fische verfaulen nicht, sondern werden enzymatisch abgebaut, vermutlich durch Enzyme des Verdauungstraktes der Fische. Deshalb werden ganze, nicht ausgenommene Fischlein verwendet und / oder auch Fischinnereien zugesetzt. Der enzymatische Abbau des Fischeiweißes erfolgt bei ca. 40 Grad Celsius. Fäulnis oder Gärung (durch Mikroben verursacht) wird durch eine ausreichende Menge Salz verhindert (ca. 15-20 % Salz), während die Enzyme bei diesen Bedingungen noch arbeiten können. Der Fisch "verdaut" sich also selber.  Enzyme sind bestimmte kompliziert gebaute Eiweißkörper, die im Organismus als eine Art "Biokatalysator" arbeiten. Sie katalysieren die Proteolyse, d.H. die Spaltung der Proteine in kürzerkettige Peptide. In einer Nebenreaktion scheinen wohl auch die "Stinkaromen" abgebaut zu werden, und andere, würzige Aromen entstehen. 

Das Aroma wird noch feiner, wenn das Roh-Liquamen anschließend mit Wein und/oder Essig zu Oinogarum weiterverarbeitet wird. Dabei verliert das Garum weiter an Fisch-Geschmack. ( Der Grund für diesen Effekt ist mir nicht bekannt, es dürfte aber ein ähnlicher Mechanismus zugrunde liegen, wie wenn man sich nach dem Fischessen die Hände mit Zitronensaft einreibt, damit sie nicht nach Fisch stinken)

oben links: Die frischen Fische, leicht zerdrückt, zusammen mit Salz, im Glas des Joghurt-Bereiters. Rechts: das selbe nach etwa einem Tag bei 40 Grad C. Die Fischchen sind schon fast "verdaut".  

Man kann in jeder gewöhnlichen Küche beste Sorten von Garum herstellen.Zum Fermentieren der Fische eignet sich ein handelsüblicher "Joghurtbereiter" ganz vorzüglich. (Da sie die Temperatur gleichmäßig auf ca. 40 Grad halten, eignen sie sich noch besser als die ungleichmäßig scheinende mediterrane Sonne. Als Ausgangsmaterial habe ich bisher frische (oder tiefgefrorenen), ganze (nicht ausgenommene) Sardellen verwendet.  

Persönlich kann ich die unten aufgeführten Rezepte, insbesondere das Oinogarum, jedermann zum nachmachen empfehlen. Das Oinogarum ist von wunderbar würzigem Aroma, es verleiht vielen Gerichten ein pikante Note, und mit solch banalen Produkten wie Sardellenpaste hat es nichts zu tun. 

Rezept für das Roh-Liquamen:

Nimm ganze Sardellen (frisch oder gefroren), zerdrücke sie etwas und füge ca. 15% Kochsalz, bezogen auf den frischen Fisch, hinzu. (z.B. ein Kilo Sardellen, 150 Gramm Salz). Mische es, so dass alle Fische von Salz umgeben sind und gib alles in einen  in einen Inkubator (z.B. Jogurtmaschine), wo man bei ca. 40 Grad fermentieren läßt. Hin und wieder (ein bis zwei mal pro Tag) schüttelt man um.

Nach einigen Tagen (drei bis fünf) ist die Fermentation weitgehend abgeschlossen. Wir haben nun eine relativ dünne Soße, von den Fischen sind nur noch die Gräten übrig. Man seiht durch ein Sieb ab und erhält so das Roh-Liquamen. Haltbarkeit: gut verschlossen und unverdünnt vermulich unbegrenzt. Natürlich kann man den Fermentationsprozeß auch noch länger ausdehnen, und das Liquamen wird dabei tatsächlich immer besser (wer will, kann versuchen, das Gebräu auch mehrere Monate fermentieren lassen - die Geduld habe ich bisher nicht aufgebracht). 

Erprobte Garum-Sorten:

Oinogarum "Thessaloniki":

Rohliquamen 2 Teile, Rotwein 2 Teile, Essig 1 Teil, Honig 1 Teil. Origanum, Minze, Koriander zum Würzen. Das ganze etwa 2 Tage ziehen lassen, abseihen und auf Flaschen füllen. Haltbarkeit: vermutlich im Kühlschrank unbegrenzt. Wer sicher gehen will, füge noch mehr Salz hinzu.

Oinogarum "Claudia Agrippina"

Rohliquamen 2 Teile, trockener Weißwein 2 Teile, Essig 1 Teil, reichlich Pfeffer zum Würzen.

Oinogarum "Constantinopolis"

Rohliquamen 2 Teile, trockener Weißwein 2 Teile, Essig 1 Teil, Knoblauch (gestampft) 0,5 Teile, Salz 1 Teil

Aus der Anwendungstechnik: ein paar leckere Rezepte

 seine besten Rezepte hat Apicius nicht veröffentlicht. Sie sind praktisch verlorengegangen. Es gelang mir aber, einige von ihnen zu rekonstruieren. Hier ein paar Beispiele:

Tintenfischsalat "Ktapodia rhinanika"

Tintenfische (Kraken, Oktopus) etwa eine Stunde in mäßig gesalzenem Wasser kochen.Anschließend häuten, kleinschneiden und mit gehackten Zwiebeln, Oinogarum, Olivenöl und Oregano anmachen. Kalt bis lauwarm servieren..

 Mozarella in Liquamen-Marinade

Marinade: Oinogarum mit Wasser 1:2 verdünnen. Mozarella in kleine Würfelchen schneiden und einlegen. Nach etwa 2 Stunden herausnehmen, abtropfen lassen und mit Pfeffer, Oinogarum, Oregano und Olivenöl anmachen.  

gebratene Zucchini

Zucchini in scheibchen schneiden und in Öl anbraten, bis sie goldgelb sind. Auf ein Küchentuch geben, um überschüssiges Fett abzusaugen, und mit etwas Oinogarum, Olivenöl, Knoblauch und Origano anmachen.

Ad finitum: der Autor übernimmt selbstverständlich keine Haftung für Unfälle und Schäden aller Art, die in Zusammenhang mit der Ausfürung seiner Rezepturen entstehen. Fischvergiftungen sind eine ernste Sache, man trage dafür Sorge, daß keine Fäulnis oder andere mikrobielle Prozesse zustande kommen hier ist insbesobndere stets auf ausreichende Anwesenheit von Kochsalz zu achten.

 

hier aber geht es wieder zurück